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Das Leck im Pool

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Das Leck im Pool


Wie echt ist das Wasser, dass aus dem Duschhahn über meine Haut fließt? Wie echt ist es?
Ist es wirklich so, dass aus der anderen Erdhalbkugel das Wasser andersherum in den Ausguss läuft? Ist das so?
Die kleine Kabine ist alles was momentan existiert. Die Welt des Raums außerhalb ist nur verschwommen. Dann sind da Wände. Und dahinter? Existiert die Welt dahinter? Oder bilde ich mir das alles nur ein? Träume ich?
Wo sind die Stimmen der Kinder oder das Rauschen des Windes?
Ich trockne mich ab, öffne das Fenster um den heißen Dampf abziehen zu lassen und nehme einen tiefen Atemzug.
Ich muss zur Arbeit! Muss ich zur Arbeit? Ich muss!
Der Toast liegt warm auf meinem Teller. Er schmeckt unreal, wie ein Fremdkörper aus Plastik. Auch der Käse bildet mehr einen Gummiüberzug als einen köstlichen Belag. Angewidert lasse ich das Brot stehen, werfe einen Blick in den Kühlschrank. Die Plastikverpackungen hüllen Nahrungsmittel, deren Inhalt zwar auf einem Beipackzettel deklariert sind. Aber wer glaubt dem schon? Wer kann den Fleischskandal vor zwei Jahren vergessen? Angewidert ziehe ich drei Fleischsorten aus dem Fach und lasse sie in den Schredder wandern. Er wird unten irgendwo sortiert und recycelt. Oder was passiert damit?

Der Blick auf die mechanische Uhr, die ich vom Dachboden meine Mutter holte. Ihre Zeiger verkünden unablässig, den Impuls den wir Zeit nennen. Was ist Zeit? Mehr ein Kompromiss um Verabredungen einzuhalten. Ich muss beeilen. Aber könnte es nicht so sein, dass die Zeit innehält für einen Moment? Ich meine, wenn ich mir einbilde, die Zeit würde stehen bleiben, müsste sie es doch tun.
Aber das mechanische Uhrwerk schlägt unablässig weiter. Auch wenn ich die Augen schließe und in mir dieses schwarze Dunkel suche, so dringt ihr treibendes Geräusch weiter zu mir herein.
Also erhebe ich mich, schließe die Tür hinter mir. Der Fahrstuhl führt mich mit zwei anderen Personen hinab in das siebente Kellergeschoss. Das Dröhnen der U-Bahn schwillt zu uns herüber und ich beeile mich, den Gang zurückzulegen, schiebe meine Karte in den Leser, um rechtzeitig durch die offenen Türen zu treten. Wie jeden Morgen ist die Bahn voll. Die Menschen stehen da, mit ihren leeren Augen, starren vor sich hin. Ausdruckslos, nichts sagend. Ohne jegliche Individualität.
Die Luft ist stickig. Aber ich will die Menschen nicht anschauen und suche mir einen der Monitore, die kollektiv eine Werbebotschaft verkünden. Gleich kommen wieder die Nachrichten. Aber die werde ich mir nicht anschauen. Ich werde zu Boden blicken. Es sind doch immer die selben Nachrichten. Die Arbeitslosenzahlen steigen. In der Peripherie wurde der Aufstand von verarmten Bauern niedergeschlagen oder es gab eine Katastrophe in den automatisierten Fabriken irgendwo weit draußen. Meistens heißt es, sei die CM 34 daran schuld. Aber es ist mir egal, was passiert ist und wer wieder einmal versucht die gesellschaftlichen Strukturen zu schädigen.
Wichtig ist doch nur, dass ich rechtzeitig bei der Arbeit bin. Der Raum der mich umgibt wackelt und ich mit ihm. Ich schaue zu Boden. Keine Monitore, keine ausdruckslosen Gesichter. Nur das Rütteln.
Wann begann es eigentlich, dass ich diese Freude, diese Leichtigkeit am Leben verlor? Kurz nach meinem Studium für Microelektronik und Wirtschaft war doch noch alles in Ordnung. Ich begann bei „newline“,
einer Firma, die Sender und Leitfäden in unserer Stadt installierten, um Pkws eine Navigation zukommen zu lassen. Dieses System verdrängte das hinfällige GPS, da die Atmosphäre den korrekten Kontakt zu den Satelliten nicht mehr zu ließ. Damals glaubte ich, mir würde die Welt gehören. Nichts gab es, was mich aufhalten konnte. Hatte ich doch in meinen Lieblingsfächern Mathe, Physik und Informatik in der Schule als Bester abgeschnitten und meine Fähigkeiten im Studium weit gehenst perfektioniert. Zwar arbeitete ich bei „newline“ nur in einem kleinen Randbereich der Forschung, jedoch waren die Aufgaben anspruchsvoll genug um mich zu fordern, jedoch nicht so arbeitsintensiv, das ich mein Pensum weit vor Feierabend erreichen konnte. So trieb ich mich oft in Kneipen herum, versoff eine Menge Geld und glaubte, das Leben könnte ewig so weiter gehen.
Ich arbeitete an den RFID-Chips der neuen Generation, die in allen Gebäuden installiert wurden um dem Fahrzeug internen Computer ein Signal über die Position zu senden. Eigentlich kein großes Ding. Eine einfache Sache, die ich schon während meiner Schulzeit hätte bewältigen können. Der entschiedene Punkt der Programmierung, welcher das Projekt so komplex gestaltete, war die Tatsache, dass ein weiter Chip, die FahrzeugID, die Geschwindigkeit an die Zentrale der Polizei weitergeben sollte. Alles ohne Wissen der Öffentlichkeit. Wir arbeiteten an Servern, die gigantische Datenmengen verarbeiten konnten, die wichtigen Informationen entsprechend ablegen konnten und die Bewegung der Fahrzeuge für fünfzehn Jahre speichern sollte. Im Bedarfsfall konnte nun jede Bewegung jeder Person über lange nachvollzogen werden, Persönlichkeitsprofile erstellt werden und eine Wahrscheinlichkeit der in der Zukunft durchgeführten Aktionen der entsprechenden Personen mit großer Wahrscheinlichkeit berechnet werden. Während der Testphase machten wir uns einige Male einen Spaß daraus, auf unseren Probanten in seiner Stammkneipe zu warten und ein Gespräch mit ihm zuführen, wo wir in die Unterhaltung Orte einfließen ließen, die ihn kompromittierten. Ein Bankangestellter zum Beispiel suchte immer einen Ort auf, der bekannt für illegales Glücksspiel war. Er begann natürlich zu schwitzen, als wir ihn darauf ansprachen.
Als „newline“ dann trotz der horrenden Einnahme aus dem erfolgreich abgeschlossenen Projekt Pleite ging, entschloss ich mich, bei meinem jetzigen Arbeitgeber „DataResearchTechnologie“ zu bewerben. Das Firmenschild prangt mir schon in dem U-Bahnschacht entgegen und die erste Tür öffnet sich nur durch das scannen der Fingerkuppe. Dabei weiß jeder Laie, wie einfach es ist, solch ein Lesegerät zu überlisten. Verschiedene Kleber, eine Folie, ein Drucker und in zwei Minuten öffnet sich einem die Tür. Aus diesem Grund vermutlich wird an der zweiten Tür ein Physiognomieabgleich gemacht, der manuell von einem Pförtner bestätigt werden muss.
Heute besteht meine Aufgabe, die Vorbereitungen für ein Chipsystemprojekt für die Marktforschung zu treffen. Über kleinere Lesegeräte können Firmen die Vorlieben ihrer Kunden während des Zahlvorganges in Erfahrung bringen. Die letzten Zahlung der Kreditkarte werden samt der erworbenen Produkte in unseren Rechner eingelesen und dienen somit der Optimierung unserer Produktpalette. Natürlich ist das illegal. Aber es gibt kein Unternehmen, welches sich nicht solcher Tricks bedient. Die Konkurrenz auf dem Weltmarkt ist groß. Selbst wenn der modifizierte Chip auffliegen sollte, hätten wir als heimisches Unternehmen gute Chancen, das der Skandal von dem Politikern unter den Teppich gekehrt werden würde. Die Firmen im Inland sind einfach zu wichtig, als das man wegen solch einer Lapalie Hunderte von Arbeitsplätzen gefährden könne.
Hier bin ich mehr zu Hause, als in meiner Wohnung. Ich setze mich in meine kleine Kabine mit seinen weißen Wänden, dem weißen Schreibtisch und betrachte die Unterlagen auf meinem Arbeitsplatz. Aufbau der Chips, Aufbau der allgemeinen Lesegeräte. Alles Daten, alles Bits und Bytes, die durch Kabel in unsere Rechner fließen. Unreal. Informationen, die die Welt beschreiben. Daten, die das Denken von Menschen beschreiben.
Unabdingbare Zahlen, die Firmen für ihr Überleben benötigen.
Das ist real! Diese Welt ist realer als andere auf unserem Planeten. Ich spüre wie der Ehrgeiz mich packt und die morgentliche Verstimmung aus meinem Körper weicht. Die Aufgabe, die mir gestellt wurde, ist bedeutsam, kann über das Schicksal von Menschen entscheiden. Also rann an die Arbeit!
Ich lese den Chip ein, verändere die Bandbreite des Datenstroms. Aber es funktioniert nicht. Vielleicht liegt es an der Testkarte. Nach meinen Überlegungen müsste der Chip jetzt wenigstens die letzten zehn Buchungen anzeigen und an das Kontrolldatencenter weitergeben. Ich nestle mein Portemonnaie heraus und schiebe die Karte ein. Zwar ist das Lesegerät länger mit dem Auslesen beschäftigt, zeigt auch eine größere Datenübertragung an, jedoch nicht meine letzten zehn Abbuchungen. Identität und Fahrzeugpapiere, momentaner Bildungsstand, meine Krankheiten, die meiner Vorfahren, Nichtraucher, bisherige Urlaubsziele, all das kann ich aus dem Chip auslesen, aber nicht das was ich eigentlich will. Nicht einmal die Abbuchung meiner morgentlichen Fahrt.
In der Abteilung, vier Stockwerke tiefer schaut der Techniker besorgt auf das Gerät. Vielleicht stimmt etwas mit dem Rechner nicht. Das Lesegerät sei völlig in Ordnung. Aber in die IT will ich jetzt nicht. Ich werde selbst einen Systemcheck machen.
Fenster öffnen sich auf meinem Bildschirm, verschwinden wieder, während verschiedene Routinen durchlaufen. Gelangweilt nippe ich an meinem Automatenkaffee. Es ist bereits Nachmittag, ich war in der Kantine, konnte aber nichts essen. Es geht mir schon eine Weile so, dass ich undefinierbares Essen ablehne. Schon der Anblick verursacht ein ungutes Gefühl. Es ist irgendwie so, als würde man die Bits und Bytes der Chemielehre in sich hinein stopfen. Geschmacksverstärker, Salze, Hart- und Weichmacher. Wer sagt mir denn, dass das Fleisch, welches da auf dem Teller meiner Kollegen liegt, wirklich Fleisch ist und nicht ein Extrakt aus Grundstoffen?
Um dem Gefühl des Irrealen zu entfliehen, habe ich auch die Uhr von meiner Mutter mitgenommen und habe die präzisen Uhren, die an die staatlichen angeschlossen sind, aus meiner Wohnung entfernt. Ich wollte wenigstens etwas fühlen, von dem was mich umgab. Auch wenn es nur das leise Schlagen des Zeigers war.

Um den Hunger zu vertreiben, trinke ich noch einen Kaffee. Da endlich werden Fehlermeldungen im Netzwerkbereich angezeigt. Die Logdatei ist beschädigt und schreibt alte Daten immer wieder neu.
Der Fehler ist gering. Ein Blick in die Steuerungszentrale des Betriebssystems sagt mir, das der Fehler in dem Zugriff des Intranetz liegt. Die ausgelesenen Daten werden zur Sicherheit auf eine der Festplatten in den oberen Stockwerken geschrieben. So kann jeder Zeit nachvollzogen werden, was der Mitarbeiter während seiner Dienstzeit tat. In meinem Fall wird jeglicher Input nach Oben geschrieben und fabriziert natürlich Unmengen an Daten. Da das System selber merkt, dass etwas nicht stimmt, schreibt es die gewonnen Daten wieder zurück auf meine Platte. Eine Endlosschleife. Ich kann also meine Daten in der Logdatei finden. Aber es ist strengstens verboten, diese auch nur zu öffnen. Also muss ich doch den Weg in die IT antreten.
Ich schildere dem Mann mein Problem. In heller Aufregung, eilt er in den Fahrstuhl, meint er würde zu runter kommen, sobald er oben fertig wäre. Aber eine halbe Stunde nach Feierabend ist er immer noch nicht da und beschließe Feierabend zu machen. Es war ein langer, langweiliger Tag. Ich werde mich noch bei dem Serviceteam abmelden und dann irgendwo in einer Kneipe versacken. Was für ein beschissener Tag!
Einer seiner Kollegen sagt mir, der Techniker wäre immer noch oben und käme nicht so schnell runter. Es sähe nach einem größeren Problem aus. Ich solle ruhig nach Hause gehen.
Auschecken. Durch den Tunnel in die Bahn. Wieder diese Gesichter mit ihren leeren Augen und erschöpften Gesichtern. Ich fahre nicht nach Hause, sondern in einen der Außenbezirke. Dort wo die Kneipen und Diskotheken sind. Wenn ich durch die Straßen gehe, weiß ich nicht ob ich lachen oder weinen soll. Die Menschen in diesem Viertel sind anders. Sie scheinen wenig von dem Wahnsinn in der Innenstadt zu spüren. Hier kann man noch etliche Kreuzungen weit laufen, ohne seine IDCard in einen Leser schieben zu müssen. Ich mag dieses Viertel, obwohl es das der Prostituierten und Gammler ist. Hier tummelt sich alles herum, was in der Innenstadt keine Arbeit findet oder sein Tageswerk nicht in einer der Fabriken fristen will. Aber die Menschen sind nur ein bedingter Grund, warum ich hier bin. Dieses Viertel ist fast ein lebendiges Museum. Es erinnert mich an mein Leben in der Kleinstadt, wo es nicht diese Grenzen gab. Man frei herumlaufen konnte und nicht das Gefühl kannte, die IDCard würde einem an jeder Straßenecke ausgelesen werden. Aber vielleicht liegt es daran, dass ich zu viel weiß. Ich meine, nur ein minimaler Teil der Bevölkerung weiß von dem Navigationssystem, welches die Bewegung der Bürger aufzeichnet? Wie frei und unbeschwert können die Menschen ohne dieses Wissen leben?
Der Kopf auf meinen Schultern ist schwer. Es ist Illusion zu glauben, ich würde hier einen Teil meiner jugendlichen Freiheit wiederfinden. Auch hier sind die Leiterbahnen angebracht und die Menschen werden genauso registriert. Dazu gibt es in unserer Gesellschaft zu viele Gefahrenquellen. Terrorismus, Armut, Skandale. Wir müssen auf alles vorbereitet sein. Wenn es dieses System nicht gegeben hätte, wäre es vor vier Jahren sicher zu einem Aufstand im Norden der Hauptstadt gekommen. Eine kleine Gruppe von Industriearbeitern wollte eine Großdemonstration ohne Anmeldung durchführen. Aber die Polizeikräfte waren vorher da um den Platz weiträumig abzusperren. Als ich damals den Artikel in der Tageszeitung lass, dachte ich daran, wie sinnvoll für solche Zwecke, dass Navigationssystem sein musste. Die Massenbewegung der Unzufriedenen in eine Richtung war natürlich gemeldet worden. Wenn es das nicht gegeben hätte, wäre es vielleicht zu Massenausschreitungen gekommen. Mit Toten und Verletzten.
Das erste Bier trinke ich am Tresen eines kleinen Ladens. Mir fällt auf, dass die Dinge hier langsamer ablaufen als in den Kneipen in der Innenstadt. Die Tresenkraft fürchtet keinen Chef, der ihn antreibt. Auch sind die Leute hier weniger chic gekleidet. Ihnen lastet der zweifelhafte Flair der Secondhandmode an. Manchen Gästen sogar Dreck. Ein zweites und drittes Bier, dann gehe ich wieder zur Bahn. Das Bezahlen ist das Selbe wie in meiner Feierabendkneipe vor meinem Wohnblock. Karte einschieben, Geheimnummer, Fingerabdruck und die Rechnung ist beglichen. Eigentlich schade, dass der Fortschritt vor einigen Winkeln dieser Welt nicht halt macht.

Leicht berauscht betrete ich die Bahn. Leicht berauscht lege ich mich schlafen.
Die Uhr tickt. Irgendwie beruhigend, dass sich etwas bewegt und nicht durch Bits und Bytes gelenkt wird. Tick, Tack, Tick, Tack, Tick, Tack.
Dann das Läuten. Wer könnte das sein? Ich meine, so früh am Morgen?
Vor meiner Tür stehen zwei Typen. Verdammte Vertreterheinies. Kommen die Staubsaugertypen jetzt schon zum Frühstück?
„Ja, natürlich! Führen Sie ihr Produkt vor! Nehmen Sie sich ein Brötchen!“
Danke! NEIN! Ich will nichts kaufen! Versuche die Tür zu schließen. Aber ein Fuß schiebt sich unnachgiebig dazwischen. Zwei Dienstmarken werden mir entgegen gestreckt. Ob ich alleine sei? Nein? Dürften wir uns mal umschauen? Gut! Dann begleiten Sie uns bitte mit zum Präsidium.
Es sei nur eine Befragung im allgemeinen, wird mir versichert. Sie fangen mit Namen und Adresse an, Geburtsort und so weiter. Der Große, der mir gegenüber sitzt, führt das Gespräch. Nickt, lächelt. Warum sollte er es auch nicht tun? Ich beantworte seine Fragen. Habe ja nichts zu verbergen.
Ich gestehe ein, dass es mir nicht besonders gut ginge zur Zeit. Ja, auch wäre ich gestern im Außenbezirk gewesen. Aber geredet hätte ich mit niemandem. Ich hätte einfach nur ein Bier trinken wollen.
Der andere Mann, der bis jetzt geschwiegen hat, fährt auf brausend in die Höhe, schreit, und bezichtigt mich einer Lüge. Es seien vier Bier gewesen. Auch das gestehe ich ein. Es sei ja nur so eine Redewendung gewesen.
Wieder ergreift mein Gegenüber das Wort, fragt warum ich den Computer auf der Arbeit manipuliert hätte. Vehement streite ich das ab. Ich hätte lediglich meine Arbeit getan. Mehr nicht. Was ich getan hätte, dürfte ich nicht sagen. Das wäre Betriebsgeheimnis.
Beide schauen mich eine Weile skeptisch an. Dann will mein Gesprächspartner wissen, was ich denn mit dem manipulierten Lesegerät vorgehabt hätte und warum ich unbedingt die Daten der IDCards auslesen wollte, die die Buchungsgewohnheiten der Kunden offen legten und durch die Weiterleitung an das staatliche Bankleitsystem einen beabsichtigten Absturz herbeigeführt habe.
Es wäre öfter zu Fehlern im Firmenablauf gekommen, lüge ich, deshalb sei es nötig gewesen, den Leser zu testen. Aber sie glauben mir nicht. Vor allen Dingen, nachdem sie einen Anruf bei der DataResearchTechnologie gemacht haben und diese jeglichen Auftrag für diese Arbeit abstreiten.
Wir fangen wieder von vorne an. Warum ich meine Dienstzeit für solchen Kram nutzen würde, welche Probleme ich hätte und warum ich in den letzten Monaten dem Kantinenessen misstrauen würde und auch ansonsten wenig einkaufen würde. Auch meine sozialen Kontakte hätten sich in den letzten zwei Jahren erheblich reduziert.
Ich versuche so ehrlich wie möglich zu antworten. Manche Dinge hören sich sogar aus meinem Mund komisch an. Eine Verkettung von Zufällen. Seitdem Lucy, eine kleine japanische Studentin mit mir Schluss gemacht hatte, habe ich einfach keinen Spaß mehr daran gehabt, in die Kneipen zu gehen, wo sie oder ihre Freunde abhingen. Ich habe nur manchmal mit einem Jugendfreund telefoniert. Das er versucht habe, vor einem halben Jahr zusammen mit einigen anderen einen Streik anzuzetteln hatte ich wirklich nicht gewusst.
Da ich dieses Jahr nicht gewählt habe, sähe alles so aus, als würde ich mehr und mehr eine kritische Haltung gegen den Staat einnehmen. Aber das stimmt nicht. Von einigen kleineren Problemen abgesehen, ginge es mir gut, versichere ich immer wieder. Ich sei wirklich glücklich mit meinem Leben.
Die Frage, warum ich dann immer mehr das Essen verweigere und sogar die staatlich gesteuerten Uhren entfernt habe, bringt mich in Erklärungsnot. Was weiß ich denn? Es ergab sich einfach so. Nein, ich habe kein Misstrauen gegen den Staat oder seine Institutionen. Die Uhr sei ein Erinnerungsstück und das wenig gegessen hätte ich da ich auf meine Figur geachtet hätte, säße ja eh soviel vor dem Rechner herum.
Aber die beiden Ermittler lassen sich nicht beirren. In beinahe jedem subversiven Profil gäbe es ein pathologisches Misstrauen gegen die Umwelt. Das sei bewiesen! Ein deutliches Indiz sei die Verweigerung von Nahrungsmitteln. Also, solle ich nicht lange herum reden und endlich zugeben, dass ich versucht habe, über den Firmencomputer den staatlichen Zentralrechner anzugreifen. Aber ich versichere, lediglich meine Arbeit getan zu haben. Das Intranet rühre ich nicht an. Wie denn sonst die Daten meiner IDCard in den Zentralrechner gekommen seien weiß ich nicht. Vielleicht gab es eine Verbindung oder ein Leck nach Draußen. Es seien ja nur ganz irreale Bits und Bytes, die da die Kabel entlang liefen. Da könnten schon einmal Fehler passieren.
Nicht solche Fehler, beharren sie. Immerhin seien ein Teil der Daten gelöscht und müssten nun aus den kleineren Zweigstellen wieder mühsam herbeigeschafft werden. Damit sei der Staat massiv geschädigt. Ganz nebenbei lässt der ruhigere von Beiden die Frage einfließen, ob es denn überhaupt möglich sei, das Intranet der Firma zu verlassen.
Natürlich ist es das! Für jemanden, der sich ein wenig mit Netzwerken auskennt. Es ist sogar möglich, es so zu machen, dass die Logdatei es nicht mitbekommt. Aber das sage ich nicht, sondern versiche es nicht zu wissen, verweise auf die Logdatei, die ja meine Handlungen aufzeichnet. Ein mitleidiger Gesichtsausdruck meines Gegenübers. Eben diese Datei sei bedauerlicher Weise beschädigt, beziehungsweise manipuliert und meine Schritte wären nicht nachvollziehbar.Der andere will wissen, wen ich gestern Abend getroffen hätte oder mit wem ich versucht hätte, Kontakt aufzunehmen. Ich streite es ab. Da war niemand auf den ich gewartet habe. Auch einen Namen habe unsere Gruppe nicht! Aha! Keinen Namen! Sondern? Ein Zeichen?
Ich antworte nicht auf die Frage, sondern versuche zu erklären, dass vermutlich ein Datenblock der Testcard sich in das System geschrieben hat und schließlich dieses Desaster ausgelöst hätte. Das ich dieses nicht absichtlich getan hätte, wollen sie mir nur bedingt glauben. Der Impulsivere der Beiden, kommt immer wieder auf die Gruppe zurück, welches Zeichen es gäbe, wie wir miteinader in Verbindung stehen würden. Aber ich versichere ihm, es gäbe so etwas nicht.
Das ist Stunden her. Ich bin müde, so müde. Ich will nicht mehr mit diesen Männern reden. Ich habe Hunger. Ich will auch nicht diesem Protokoll zustimmen. Ich will schlafen. Aber sie lassen mich nicht. Es sei denn, ich stimme dem digitalen Protokoll zu. Sie werden mich in eine Zelle führen, die ich für lange Zeit nicht mehr verlassen werde. Ich weiß nicht, was ich eingestanden habe, oder was sie glauben, was ich eingestanden habe. Jedenfalls war es mir eine Wonne dem Lackaffen zu sagen, dass er keine Ahnung habe, von dem Was er da redete. Er wisse nichts über Datenverbindungen. Man könne alles im Netz manipulieren, wenn man nur wollte. Konten, Wahlen, Zeugnisse. Einfach Alles! Da hat der Lackaffe dumm geguckt. Irgendwie schien es ihm peinlich zu sein, das alles nicht begreifen zu können. Da hörte er endlich mit seinen kleinen Provokationen und Beleidigungen auf. Sie haben mir Bilder gezeigt, von anderen Leuten. Auch von meinem Kumpel. Er war der Einzige, den ich kannte. Manchmal haben sie sich verschwörerisch zugenickt.
Einige Stunden später sind die beiden Männer doch zufrieden. Morgen wird auf den Monitoren der U-Bahn stehen, dass den Behörden ein erfolgreicher Schlag gegen den Terrorismus gelungen sei. Aber das ist jetzt egal. Ich will schlafen.


Zu dieser Seite haben beigesteuert: Anja .
Seite zuletzt geändert am Freitag, 25.Juli 2008 17:44:23.